Neue Rechte

Geheimtreffen in Potsdam: AfD-Mitarbeiter brüstet sich mit Gewalt

Gewalt und Medienarbeit – Mario Müller, langjähriger führender Kopf der Identitären, vorbestraft wegen Körperverletzung, gab in einem Vortrag in Potsdam verstörende Einblicke in seine Strategie im Kampf gegen Linke. Für die AfD könnte sich dies in Bezug auf ein Verbotsverfahren als brisant erweisen. Denn Müller ist Mitarbeiter im Büro eines AfD-Abgeordneten. Auf Anfrage bestreitet er, die Aussagen getroffen zu haben.

von Jean Peters , Gabriela Keller , Till Eckert , Anette Dowideit , Marcus Bensmann

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Mario Müller, ein mehrfach wegen Körperverletzung verurteilter Rechtsextremer und Mitarbeiter eines AfD-Bundestagsabgeordneten, am 25. November 2023 im Landhaus Adlon in Potsdam. (Fotos und Collage: CORRECTIV)

Mario Müller schämt sich nicht für seine Vorstrafen, im Gegenteil: Er gibt damit an.

„Mein Name ist Mario Müller“, so stellt er sich bei dem Geheimtreffen vor, „ich bin gewaltbereiter Neonazi.“ Im ironischen Ton sagt er das laut Quellen, zieht es gleich ins Lächerliche: Das gelte nur, wenn man linken „Denunziationsportalen“ glaube. Und das tut natürlich niemand hier, bei dieser Zusammenkunft nahe Potsdam, die CORRECTIV in der vergangenen Woche aufgedeckt hat und seitdem im Liveticker über die Folgen berichtet.

Knapp 30 Leute, Rechtsextreme, AfD-Funktionäre, private Unterstützer kamen am 25. November 2023 in dem Hotel „Landhaus Adlon“ zusammen. Sie berieten über Vertreibungen von Menschen mit Migrationshintergrund, und er, Mario Müller, war mittendrin. 

Sein Fokus: Der Kampf gegen die Linke. Dafür setzt er auf zwei Waffen: Gewalt und Medienarbeit. Beides greift bei ihm offenbar ineinander. In seinem Vortrag macht er dies mit einem Beispiel anschaulich: Er habe 2021 den Aufenthaltsort eines deutschen Antifa-Aktivisten in Polen verbreitet und einen Schlägertrupp auf ihn angesetzt. 

Der AfD-Mitarbeiter und die Gewalt: Erst Bekenntnis, dann Dementi

Als CORRECTIV Müller mit seinen Aussagen konfrontiert, streitet er dies kategorisch ab: „Ich habe niemals einen „Schlägertrupp“ auf irgendjemanden angesetzt“, teilt er mit. Er habe sich nur „mit polnischen Journalisten“ über den Aufenthaltsort des Mannes „ausgetauscht“ und später „aus dem Internet“ von dem Angriff erfahren.

Dagegen steht Müllers Vortrag. Im Landhaus Adlon brüstete er sich nicht nur mit der Attacke, sondern auch damit, den reichweitenstarken Kanal „Dokumentation Linksextremismus“ auf der Plattform X zu betreiben, der geleakte Details über linke Akteure verbreitet und sie dort wie auf dem Präsentierteller preisgibt – mit Foto, Klarnamen und anderen Angaben. Wer hinter dem Kanal steht, war bisher nicht bekannt. Einige Medien scheinen ihn als Informationsquelle zu nutzen. Auf Anfrage von CORRECTIV leugnet Müller seine Rolle als Betreiber des Kanals pauschal, ohne dazu Details zu nennen.

Sollte es zu einem Verbotsverfahren gegen die AfD kommen, könnte sich die Personalie Müller als relevant erweisen: Denn bei Verbotsverfahren kommt es nicht nur darauf an, ob eine Partei eine verfassungsfeindliche Haltung vertritt. Sondern auch darauf, ob sie versucht, diese Haltung in aggressiver, kämpferischer Weise umzusetzen. 

Müller steht beispielhaft für die enge Verstrickung der AfD mit gewaltbereiten Rechtsextremen: Der Aktivist, mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, ist Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt, wie seit Ende 2022 bekannt ist. 

Allein die Anwesenheit Müllers auf dem Treffen bei Potsdam wirft Fragen auf. Gegenüber CORRECTIV teilt er mit, er sei dazu eingeladen worden. Die AfD-Fraktion habe von seiner Teilnahme dort keine Kenntnis gehabt. Wie sein Arbeitgeber dies bewertet? Der AfD-Politiker Schmidt schreibt dazu auf CORRECTIV-Anfrage: „Die Freizeitaktivitäten von Mitarbeitern überwache ich nicht.“

Beobachter und Rechtsextremismus-Expertinnen sehen die Tätigkeit Müllers im Büro des Bundestagsabgeordneten kritisch: „Mario Müller ist ein gefährlicher Neonazi, mit Verbindungen, die das ganze extrem rechte Spektrum abdecken“, sagt die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Linke). 

Das sei nicht das einzige Problem: „Zudem hat er Zugriff auf Informationen, an die nicht jeder kommt“, sagt sie. Er könne über parlamentarische Informationssysteme verfügen, Flurgespräche oder Inhalte aus Ausschüssen mitbekommen, Kontakte aufbauen: „Ein extrem rechter Gewalttäter bekommt darüber die Zeit, die Infrastruktur und Möglichkeiten, um seine politische Agenda zu betreiben.“ 

Mit anderen Worten: Es sei gut möglich, dass er an sensible Informationen komme  – und diese nutzen könne, um politische Widersacher einzuschüchtern oder anzugreifen. Dazu teilt Müller auf Nachfrage von CORRECTIV mit: Bei seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Schmidt beschäftige er sich ausschließlich mit mandatsbezogener Sach- und Öffentlichkeitsarbeit.  Einen Bundestagsausweises indes hat er nicht und darf das Gebäude selbst auch nicht als Gast betreten.

Ein Foto zeigt Müller mit geballter Faust auf Lesbos

Rechtsextremismus-Fachleuten war Müller bereits lange vor dem Treffen nahe Potsdam ein Begriff: Er spielte laut Verfassungsschutz, Fachleuten und Beobachtern innerhalb der sogenannten Identitären Bewegung lange eine zentrale Rolle und schrieb als Reporter des stramm rechten Magazins Compact. Als im März 2020 mehrere Dutzend Neonazis nach Lesbos reisten, war auch Müller mit vor Ort, angeblich als Reporter. Laut Berichten sollen einige versucht haben, Boote von Geflüchteten zu behindern. Offenbar wurde die Gruppe von Antifaschisten angegriffen: Ein Foto zeigt Müller mit geballter Faust, neben einem Mann mit blutverschmierter Glatze. 

Er schätze die Identitäre Bewegung zwar nach wie vor, antwortet er auf die Frage von CORRECTIV nach seiner heutigen Funktion. An deren Aktionen beteilige er sich seit Jahren nicht mehr.

Das Treffen im Landhaus Adlon eröffnet seltene Einblicke in das Selbstbild der Rechtsextremen. In Müllers Vortrag dreht sich den Quellen zufolge alles um den Kampf gegen den politischen Gegner: Die Antifa sei das größte Hindernis für die Rechten. Sie stehe „der patriotischen Wende“ und damit auch „dem Aufstieg der AfD“ im Weg, sagte Müller, wie es die Quellen bestätigen. Und nur deswegen könnten sich die Rechten nicht offen zum Rechtssein bekennen.

Müller spricht von der Antifa. Aber in seinem Vortrag wird deutlich: Er hat offenbar ein sehr weit gefasstes Verständnis davon, wer seine Gegner sind. Er nennt auch Politiker, Journalisten, linke Zivilgesellschaft, Gerhard Schröders „Aufstand der Anständigen“. Antifa, so versteigt er sich Quellen zufolge, sei sogar die „Staatsdoktrin“ in Deutschland, und zudem „Handlanger der Ampelregierung”.

Auf CORRECTIV-Anfrage schreibt er, diese Bewertung sei „substanzlos und falsch“. Er engagiere sich gegen die „linksextreme, gewalttätige Antifa.”

In seinem Vortrag bezeichnete er die linke Szene als das „Grundproblem“ und erklärte auch, was man dagegen tun kann. Er erwähnt zum Beispiel den Angriff auf den Autonomen in Warschau namens Johannes D. im November 2021. Die Geschichte dahinter ist verworren: Gut einen Monat zuvor verbreiteten linke Websites Vergewaltigungsvorwürfe gegen D.; er wurde deswegen von mehreren deutschen Antifa-Gruppen geoutet und ausgeschlossen. Der Aktivist wollte offenbar neu anfangen und arbeitete zu der Zeit als Erzieher in einer Kita in Polen.

„Wir haben das rausgefunden“, sagt Müller und diese Informationen „polnischen erlebnisorientierten Fußballkreisen“ übergeben. Also Hooligans. Wie Quellen bestätigen, sagte er, D. sei daraufhin auf der Straße „sehr handfest und sportlich” konfrontiert worden und habe in der Folge einen Nervenzusammenbruch erlitten.

Mehrere AfD-Politiker sind bei dem Treffen in der Nähe von Potsdam dabei, darunter die Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy und Roland Hartwig, der inzwischen entlassene Referent von Parteichefin Alice Weidel. Aber niemand äußert Kritik oder Unwohlsein. Im Gegenteil: Laut Quellen wird während des Vortrags gelacht – gerade während der Schilderung von Gewalt.

Auf Anfrage will Müller davon jetzt nichts wissen. Er wirft CORRECTIV vor, „falsch informiert“ zu sein oder bewusst zu verzerren: In seinem Vortrag habe er ausgeführt, dass D. nach eigener Aussage vor Gericht zum Kronzeugen wurde, „nachdem seine Anwesenheit in Polen bekannt geworden war.“ Dazu habe die Berichterstattung polnischer Journalisten beigetragen, mit denen er in Verbindung stand. Dass er den Angriff auf D. organisiert oder herbeigeführt habe, weist er vehement zurück.

Der Kronzeuge wurde nach eigener Aussage in Polen von Neonazis drangsaliert

Es steht dieser Tage vieles auf dem Spiel für die AfD. Was Müller laut Quellen in dem Vortrag sagte, war brisant, und zwar nicht nur wegen des Bekenntnisses zur Gewalt, das er nun bestreitet. Denn Johannes D. ist nicht irgendwer: Als Kronzeuge sollte er einige Monate nach dem Angriff auf ihn im Verfahren gegen die linksextreme Gruppe um Lina E. eine Schlüsselrolle spielen – den Angeklagten werden die Bildung einer kriminellen Vereinigung und Angriffe auf Rechtsextreme vorgeworfen. 

Auf dem Treffen nahe Potsdam stellte Müller es so dar, als hätten er und seine Mitstreiter dafür gesorgt, dass D. aussagt. Ohne seine „Outing-Aktivitäten“ wäre der Kronzeuge „natürlich immer noch Kindergärtner in Warschau”, behauptete er laut Quellen vor den Zuhörern. Allerdings wirkt es so, als habe er dabei seine Rolle übertrieben: Nach Johannes D.s eigenen Aussagen im Thüringer Untersuchungsausschuss gaben eher persönliche Gründe und seine Ächtung in der linken Szene den Ausschlag. 

Prüfen lassen sich die Vorfälle nur teilweise: Auf einem rechten Profil auf der Plattform X gibt es ein Video, datiert auf den 13. November 2021. Angeblich dokumentiert es den Angriff auf Johannes D. Zu sehen ist, wie eine Person wegrennt, gejagt von mehreren Männern. Das Material lässt nach Videoanalyse von CORRECTIV keine eindeutigen Rückschlüsse zu: Die Bildqualität ist zu schlecht, um D. eindeutig identifizieren zu können. 

Nur der Aufnahmeort lässt sich ermitteln: Das Video entstand vor einem Supermarkt in Warschau, an der Straßenecke Jerozolimskie und Krucza. Ringsum sind mehrere Menschen zu sehen, offenbar bei einer Demonstration. Nach Recherchen von CORRECTIV handelt es sich um den Nationalfeiertag in Polen. Das passt zur Berichterstattung über einen Protest von Rechtsextremen